Über die Vorurteile der "Neulinge" - Gedanken zum 10. Treffen der Volvo-Bertone-IG im Bergischen Land am 23.10.2007

Die angstvolle Frage

Ein Treffen von Volvo-Fahrern, zudem ausschließlich mit Bertone-Modellen? Du wirst doch nicht wieder damit anfangen, schwante meiner Frau Böses. Seit den DKW-Treffen zu Studentenzeiten in den Siebzigern hatte das Virus sich nicht gerührt. Aber es hatte eben nur geruht.



Der erste Volvo

Aber wie komme ich überhaupt zu der Frage, ein solches Treffen zu besuchen? Als ich vor ca. einem halben Jahr einen dunkelblauen Volvo 780 turbo kaufte dachte ich noch, das sei ein etwas anderer aber eben doch nur ein Gebrauchtwagen mit schönen Extras. Und ich freute mich auf endlich etwas mehr Dampf unter der Haube als die jahrzehntelang in allen Baureihen bis Baujahr 2000 wegen der drei lieben Kinderlein gefahrenen Kombis eines großen deutschen Massenherstellers zu bieten hatten. Die Söhne sind erwachsen, deshalb wurde selbstverständlich der Familienkombi sofort verkauft und der Volvo als Alltagswagen eingesetzt - mit Begeisterung natürlich auch von den Fahranfängern in der Familie.



Auto und Ästhetetik

In der Stadt beim Einkaufen, vor der Waschstraße am Samstag oder beim Familientreffen - keiner schaut so richtig hin und kann mit dem Auto, dessen Embleme sich bei unserer Version auf Kühlergrill und Radkappen beschränken, so richtig etwas anfangen. Understatement pur, nur ich weiß, dass ich etwas Besonders habe. Einige stört das kantige Äußere, aber gerade das gefällt mir. Design à la 80er Jahre. Dazu muss ich hier einen kleinen Exkurs einflechten, bevor ich zum Bericht über das 10. Treffen der Volvo-Bertone IG komme. In der SZ vom 20. / 21.10.2007 schreibt Andreas Zielke und spricht mir aus der Seele: ""Ich fühle mich frei wie noch nie", frohlockt Don Juan in Max Frischs gleichnamigen Stück, "frei und wach und voll Bedürfnis nach männlicher Geometrie" Ja, inzwischen hat er alles Feminine satt. Ihm, dem doch die Sinne nach nichts anderem standen als nach allen Spielarten der weiblichen Topographie. Doch nun öden sie ihn an, die weichen Formen, die verführerisch geschwungenen Linien mit ihrem allzu delikaten Schmelz und natürlich erst recht all diese kosmetischen Retuschen und künstlich gepolsterten Kurven, nein, dieser Mann sehnt sich nur mehr nach gradliniger Echtheit, nach harter viriler Einfachheit. Und wie es einem von wohlfeilen Reizen übersättigten Don Juan geht, so geht es wohl auch dem Käufer eines .....Für den Preis eines .... kann er fast jeden modischen Luxuswagen haben. Einen oder auch zwei von ihnen hat er womöglich in der Garage stehen. Trotzdem, ihre sinnlichen Rundungen, ihre fließenden Silhouetten lassen ihn kalt.. ....Mag ja der Zeitgeist nach diesem polymorph-erotischen Design verlangen, ihm erscheinen sie vulgär, all diese aufdringlichen Blechschönheiten, die sich auf den Straßen herumtreiben und einen anzumachen versuchen - mit ihren Scheinwerfern wie Schlafzimmeraugen und ihren hochgereckten Hinterteilen. Wie auch immer, sie langweilen ihn. Gegen den Degout hilft nur entschlossene ästhetische Kargheit und Kompromisslosigkeit. Schnörkellos und kühl, unmodisch und zeitlos - männliche Geometrie. Der ...-Käufer ist ein Held des ästhetischen Rückzugs."
Bei dem beschriebenen Fahrzeug handelt es sich um einen seit fast 30 Jahren gebauten geländegängigen Klassiker aus Untertürkheim. Es könnte sich aber eben so gut um einen 780er von Volvo handeln.



Individualität und Hordentrieb

Ästhetisch anspruchvoll - und deshalb auf dem Rückzug. Individuell - aber nicht anbiedernd extrovertiert. Solide - aber um Himmels Willen nicht hausbacken. So langsam fange ich an, meine Volvo-Identität zu finden. Oder hat mein Bild vom Leben endlich das richtige Auto gefunden? In diesem noch frühen Stadium der adulten Selbstfindung kommt mir das Ansinnen eines Treffens der Bertone-Interessengemeinschaft eigentlich noch zu früh. Bin ich es wirklich schon oder will ich es jemals werden: ein Volvo-Fahrer? Volvo ergo sum? Bei einem Treffen unter dieser Überschrift müsste ich mir ja eingestehen, dass ich "Interesse" an so etwas Banalem wie einem Auto habe. Nun gut, es ist ein Bertone, jedenfalls oben herum. Das ist schon interessant. Aber Gemeinschaft? So mit Abzeichen im Revers, Aufklebern in der Heckscheibe und Homepage mit peinlichen Selbstentäußerungen? Mit wem müsste ich denn da Gemeinschaft haben - mit Lehrern in Cordhosen, Ministerialbeamten im mittleren bis höheren Dienst oder Ärzten, bei denen es zum Stern nicht gereicht hat? Ja, ich habe Vorurteile und sicher auch unrecht in Bezug auf "die" Volvo-Fahrer. Aber so habe ich mir die Welt nun mal zurecht gelegt in den letzten fünf Jahrzehnten. Warum sollte ich das ändern wollen? Worüber sollte ich mich denn unterhalten mit all den Volvo-Spezialisten. Ich kann doch meinen Jungs nicht einmal alle Teile unter der Motorhaube meines Autos erklären! Geschweige denn die Tausende von feinen Unterschieden der verschiedenen Motor- und Karosserievarianten (und die gibt es mit Sicherheit - und wahrscheinlich nur deswegen, damit deren eingefleischte Besitzer damit selbstherrlich auftrumpfend auf alle Nichtwisser in der Tiefebene herunterschauen können) mit schlafwandlerischer Sicherheit herunterbeten.

Volvo-Fahrer - unbekannte Wesen

Ein sonniger Sonntag im Herbst, meine Frau und ich besuchen zum ersten Mal den "Volvo-Stammtisch-Niederrhein" in Viersen (ist doch nicht weit von uns entfernt ... wir können ja einmal ganz unverbindlich vorbeischauen ... wenn uns die Leute nicht gefallen können wir nach einer halben Stunde wieder fahren ... vielleicht wird es ja ganz nett...): Dort tauchten - ebenfalls zum ersten Mal, wie wir dann erfuhren - Wilfried und Monika Mehlmann mit ihrem dunkelblauen 780er auf. Nach einem erstaunlichen Begrüßungshallo und drei Stunden Unterhaltung waren wir um eine Einladung zum 13.10.2007 reicher und um eine Einkaufsliste für Schweden leichter. Und stellten fest, dass man mit Volvo-Fahrern ganz normal reden kann, unaufdringlich, interessiert, vielleicht einige ein bisschen "positiv verrückt". Und die Mehlmanns als Partner im Leben wie in der Bertone-Sache so charmant, dass uns beim Blick in den Kalender angesichts des großen weißen Flecks an besagtem Oktober-Samstag einfach keine Ausrede einfiel und wir ein paar Tage später zusagten.



Jubiläums-Ausfahrt mit Rekordbeteiligung

Das Programm des Jubiläumstreffens nachzuerzählen wäre für die, die dabei gewesen sind langweilig. Und die, die nicht dabei waren sollen sich ruhig ein wenig grämen. Denn ein wahrhaft goldener Oktobertag, interessante Industrie- und Kulturgeschichte mit viel Lokalkolorit des Bergischen Landes und immer wieder Gelegenheit zu Gesprächen mit neu zusammengewürfelten Teilnehmergruppen bescherten uns einfach einen entspannten und schönen Tag. Und erst die Autokorsi mit elf 262 Coupés, sechzehn 780ern, einem 264 TE und einem Radio-Car - und wir mal hinten im Feld, mal mittendrin oder auch von vorne weg im Rückspiegel - einfach eine Augenweide.



Volvo-Fahrer sind auch nur Menschen - aber nette!

So wie das Programm waren auch die Menschen eine lebendige Mischung aus alt und jung, neuen Gesichter und alten Hasen, Niederländern, Schweizern und Deutschen (haben wir auch keine Nation vergessen?!), Frauen und Männern mit eigenem Auto, als Fahrerinnen oder als Beifahrer. Natürlich waren etliche Autos auf Hochglanz poliert (ich gestehe: auch ich habe mir den Freitag nachmittag frei genommen und alle handwerklichen Register gezogen und chemischen Tricks ausgepackt), kamen mit Saisonkennzeichen oder roten Nummern daher. Andere Fahrzeuge wiederum sahen aus, als kämen sie mitten aus einem bewegten Alltag. Relativ selten ging einmal eine Motorhaube auf an einem der Haltepunkte und echt schwedisches Bastlerlatein machte die Runde. Manchen wird angesichts der tollen bergischen Landschaft der Gasfuß gejuckt haben, aber alle blieben artig in der schier endlos scheinenden Kette der stolzen Karossen eingereiht. Vorbei an Skistöcke-schwingenden Powerspaziergängern im bunten Herbstwald (war das eigentlich eine öffentliche Straße?), Rasen-mähenden Wochenend-Dörflern (mit Familienkombi und Pendler-Minikiste vor der Garage) oder Burg-Touristen, denen Eis, Waffeln oder Pommes für einen Augenblick nicht mehr so recht den Weg in den offen stehenden Mund finden wollten. Nach dem das fünfte Auto sie in den engen Passagen langsam passiert hatte und noch so viele nachkamen konnten sie sich entschließen, nicht lauthals über die vermeintlichen Umweltverpester zu mosern sondern einfach nur einer friedlichen Demonstration rollenden Kulturgutes bei zu wohnen. Und der fahrende Genießer freut sich still mit immer breiter werdendem Grinsen, so wie er es in bequemen Ledersitzen und mit sonorem Brummen unter der Haube auch im Alltag gerne auf einer beliebigen Fahrt von A nach B tut.



Ausklang und Ausblick

Unsere letzten Vorurteile sollten dann am Abend bei der gemütlichen Runde im Gasthaus weichen. Denn auch die emotionalen Worte anlässlich des kleinen aber feinen Jubiläums der Runde waren angemessen kurz und erfreulich sachlich. Die Veranstalter erhielten das ehrlich verdiente Lob mit herzlichem Beifall und die Ideengeber und Protegés aus dem flachen Nachbarland staunen vielleicht heimlich, dass eine solche Idee auch ohne Vereinsstatuten und Clubbeiträgen möglich ist. Die Freude eines gelungenen Tages konnte auch das überforderte Personal der kulinarischen Abteilung nicht nachhaltig trüben.

Und, sehen wir uns beim nächsten Mal?
Muss nicht, darf aber gerne sein!

Joachim Braun und Bernadette Krawinkel-Braun, Neuss


P.S.
Sorry, liebe 262-Besitzer.
Mit "Volvo-Fahrer" seid ihr herzlich gerne auch gemeint.
Mit eurer Bertone-Erstausgabe hatten wir leider noch nicht die Ehre ausreichend Bekanntschaft zu machen.
Aber da wir ja keine Vorurteile (mehr) haben, wird das sicher bald nachgeholt werden können.