Der Beau

Fahrbericht Volvo 780
Exclusives, von Bertone
gezeichnetes und gebautes
Coupé auf Basis der
760 Limousine.

Volvo – ein Vorbild an Sicherheit, Zuverlässigkeit und Langlebigkeit.“



Zweifellos ein Werbeslogan, der einige bedeutende Punkte an einem Auto anspricht, aber beileibe nicht alle. Wo bleiben zum Beispiel Faszination und Ausstrahlung? Besonders in den oberen Preisregionen kommt dem erkennbaren Charakter eines Automobils zunehmende Wertschätzung zu, denn viele Kunden erwarten hier, wenn sie sich schon einen hohen finanziellen Einstieg geleistet haben, auch eine möglichst nahe Abstimmung auf ihren Lebensstil.

Nun wird niemand behaupten, den großen Volvo-Limousinen der 700-Reihe mangle es an Ausstrahlung. Schon ihre kantige Form spaltet die Betrachter; die einen fühlen sich von ihren eigenwilligen Konturen abgestoßen, andere werden gerade deshalb auf Anhieb Freunde der schwedischen Marke. Wie in vielen Bereichen des Lebens ist die klare Trennung in Zustimmung und Ablehnung ein untrüglicher Beweis dafür, dass es um mehr geht als bloße Gefälligkeit.

Doch gibt es scheinbar nichts, was nicht noch eine Steigerung erfahren könnte. Und so hatten die Volvo-Verantwortlichen bereits zu Beginn der 740/760-Konzeption den Ehrgeiz, über diese Modelle hinaus der Welt den gewissermaßen endgültigen Volvo zu bescheren. Er sollte, frei von allen vernunftorientierten Verkaufszwängen, ein vornehmer Zweitürer werden, der nichts weiter als die Aufgabe zu erfüllen hatte, einfach nur schön zu sein und die frohe Botschaft übers Land zu fahren: =Volvo baut keine Panzerschränke mehr=. In dieser Beziehung bestand tatsächlich die Pflicht zur Wiedergutmachung. Mit Schrecken erinnert man sich heute an den Volvo 262 C , das berüchtigte Plattdach-Coupé der alten 264-Limousine. Von Star-Designer Nuccio Bertone wohl während einer Kreativitätskrise entworfen, stellte er anno 1977 den Versuch eines Spitzenmodells dar – und dabei blieb es dann auch. Haben wollte ihn kaum jemand. Aber einmal ist keinmal, und großmütig setze man sich mit dem Grandseigneur der Karosseriebauer – Bertone ist 73 – auf ein Zweites zusammen. Das Projekt startet 1982, der Handlungsspielraum war diesmal entschieden größer: Bertone durfte sich eine vollkommen eigene Karosserie einfallen lassen, lediglich Fahrwerk und Antriebsstrang waren vorgegeben. Das heißt, dass der Radstand der gewiss nicht bescheiden dimensionierten 700-Limousine ohne Änderung übernommen wurde. Was schließlich auf dem Genfer Salon vergangenes Jahr enthüllt wurde und Bertone nun auch in seinem Werk im Turiner Vorort Grugliasco zu produzieren angefangen hat, kann sich sehen lassen: = Der Volvo 780 ist eine Augenweide = . Nichts Aufregendes zwar, aber Eleganz und Klasse – Understatement eben im klassischen britischen Sinn, wenngleich es sich hier um eine italienisch-schwedische Kompo-sition handelt.



Beim Anblick des neuen Coupés möchte man nicht glauben, dass es bis auf wenige Millimeter die gleichen Abmessungen besitzt wie die Limousine. Die Proportionen indes sind neu geordnet, und so ergibt sich ein grundverschiedenes Aussehen. Die Seitenansicht bestimmt eine zeitlos-ästhetische Trapezlinie, deren flacher verlaufende hintere Dachpartie dem Harmonie-Empfinden des Durchschnittsbetrachters näher kommt als der fast senkrechte Abschluss beim Volvo 760, der gerade daraus seinen umstrittenen formalen Reiz gewinnt.

Obwohl der 780 – man betrachte die durch die Zahlenfolge belegte Modell-hierachie: 740, 760, 780 – sanftere Züge trägt, wird ebenso schnell erkennbar, dass er ein Volvo ist. Das beinahe rechtwinkelige Heck und die markentypische Front lassen das Coupé als integres Mitglied der 700-serie erscheinen. Insgesamt überzeugt der Bertone-Entwurf durch klarere Linien als die hausgemachte Limousine ; als Beispiel mag der Abschnitt unter dem vorderen Stoßfänger dienen, der beim Coupé eindeutig besser ins Blechkleid einbezogen wirkt. Gemeinsamkeiten dagegen auf anderem Gebiet: Auch der Volvo aus Italien will sich nicht dem Bild der heutzutage immer häufiger zugemuteten Aerodynamik-Rundlinge anpassen. Seine vergleichsweise immer noch kantige Karosserie mit nur dezenter Keilform und so wenig modeorientierten Details wie nicht einmal halb versenkte Scheibenwischer und ganz konventionellen Regenleisten verraten stilvollen Kon-servativismus und Besinnung auf Traditionen. Schon die äußere Betrachtung führt zu dem Schluss, dass man es beim Volvo 780 wieder mit einem GT alter Schule – einem echten Grand Turismo – zu tun hat. Es werden Anklänge an das BMW-Coupé, den Maserati Biturbo und, als Krönung jener selten gewordenen Spezies Auto, den Ferrari 412 wach. Dieser Gedanke hält an, wenn man durch die breiten Türen ins Interieur vorgedrungen ist: Es erwartet einen ein Ambiente aus Holz und Leder, welches das bequeme Reisen zu zweit besonders angenehm macht. Im Falle des von auto motor und sport gefahrenen, strahlend weiß lackierten Exemplars herrschte innen ein sattes Blau mit abgesetzten schwarzen Flächen an Sitzen und Seitenverkleidungen.

Die Sitze selbst, am Rand stärker als bei der Limousine aufgepolstert, haben serienmäßig einen absichtlich verknautschten Lederbezug und verwöhnen mit körpergerechter Formgebung, die zu langen Fahrten einlädt. Ihre Verstellung obliegt selbstverständlich einer Elektrik; erwähnenswert dabei besonders: Klappt man die Lehnen nach vorne, um den Zugang in den Fond zu ermöglichen, setzt sich der ganze Sitz wie von Geisterhand in Bewegung und kehrt anschließend in seine ursprüngliche Position zurück. Von ähnlichen opulenten Ausmaßen wie die vorderen sind auch die beiden rückwärtigen Sessel. In Ihnen Platz nehmen zu müssen, bedeutet keineswegs eine Strafversetzung auf die Hinterbank, zumal – für ein Coupé ganz untypisch – reichlich Raum für kopf und Beine vorhanden ist. So gesehen ist der 780 eher eine zweitürige Limousine und damit eine individuelle Alternative zum nach außen hin ja nicht größeren 760, wenn die Rücksitze nur bisweilen beansprucht werden.

Umgewöhnung bei der Bedienung ist ohnehin nicht erforderlich, das Armaturenbrett mit sehnen übersichtlichen Rundinstrümenten findet sich hier wie dort; im Coupé jedoch wirkt es durch polierte Wurzelholz-Einlagen, die auch in den Türen für optische Auflockerung sorgen, spürbar feiner. Entsprechendes gilt auch für das Lenkrad, das im 780 mit griffigem Leder überzogen ist. Überhaupt lässt die serienmäßige Ausstattung keine Wünsche offen: Zentralverriegelung und elektrische Fensterheber, aber auch Klimaanlage, elektrisches Schiebedach und ein Kassettenradio mit Equalizer und 4 x 20 Watt-Verstärker gehören dazu. Letzteres überzeugt durch ausgezeichnet guten Klang und kann, falls gewünscht, den Innenraum in eine Art rollenden Konzertsaal verwandeln. Die akustische Verdrängung eines anderen, für viele Zeitgenossen immer noch unliebsamen Geräusches ist daher praktisch ständig gewährleistet: Im Volvo 780 arbeitet nämlich – normalerweise unüberhörbar – ein Dieselmotor. Diese wahrhaftig ungewöhnliche Kombinierung eines luxuriösen Edelcoupés mit einem Selbstzünder-Aggregat verlangt eine Erklärung: Der Bertone-Volvo wird vorläufig nur in Italien verkauft, und dort erfreuen sich Diesel-Autos aufgrund der günstigen Besteuerung des Rohöl-Destillats überdurchschnittlicher Beliebtheit, selbst im automobilen Oberhaus.

Da Italiener aber zugleich auch Temperament sehr schätzen, bekommen sie von Volvo einen Diesel mit besonders viel Leistung: nicht nur sechs Zylinder und Turbo mit 109 PS (80 kW) wie hierzulande im 760 GLE, sondern zusätzlich mit Ladeluftkühler und 122 PS (90 kW). In dieser Version ist das 2,4 Liter-Triebwerk der derzeit weltweit stärkste Serien-Diesel, der damit ausgerüstete Volvo 780 einer der schnellsten Diesel-Autos: Vom Hersteller wird eine Beschleunigung von null auf Tempo 100 in 10,5 Sekunden und eine Höchstgeschwindigkeit von 185 km/h genannt.

Nach dem ersten Fahreindruck ist nicht daran zu zweifeln, dass der Spitzen-Volvo diese Werte auch wirklich erreicht. Und wie fährt sich ein Diesel in so einem Auto sonst? Nicht übel. Abgesehen vom Kaltstart, der mit seinem lauten Nageln und den aus einem armdicken Doppelrohr-Auspuff hervorquellenden Rußwolken dem 780 in der Tat schlecht zu Gesicht steht, läuft der modifizierte Turbodiesel relativ kultiviert; sein offensichtlich sorgfältiger gedämpftes Geräusch dringt weniger deutlich an die Ohren der Insassen als beim selbstzündenden 760. Und da auch das große Volvo-Coupé keinen sportlichen Anspruch erhebt, stellt sich sowieso eine ganz gelassene Fahrweise ein, die am Diesel keinen Anstoß nimmt.

Interessenten aus Deutschland braucht das indessen nicht zu kümmern, denn ihnen bleibt der Dieselmotor auf alle Fälle erspart. Ebenso wie den Amerikanern, die im Herbst dieses Jahres gleichfalls in den Genuß des Volvo 780 kommen. Für die USA, den bei weitem wichtigsten Abnehmermarkt mit geplanten 2.500 Einheiten per anno, ist eine überarbeitete Ausführung des sogenannten Europa-V6 vorgesehen.

Ob in der Bundesrepublik dieser Sechszylinder, der vom Lancia Thema bekannt ist, oder der Volvo-eigene Vierzylinder-Turbo oder wahlweise alle beide Motoren angeboten werden, steht noch völlig in den Sternen. Die Angabe der Höchstgeschwindigkeit soll jedenfalls eine Zwei vorne haben.

Offen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch, ob das Fahrwerk noch eine tiefgreifende Änderung erhält. Bis auf breite 6 Zoll-Leichtmetallräder mit speziellem Felgendesign und Reifen der Dimension 205/60 R 15 H sowie eine Tieferlegung um sieben Millimeter entspricht es derzeit dem der 760-Limousine, einschließlich der starren Hinterachse. Und um genau die geht es. Es gibt Stimmen, selbst bei Volvo, die für eine hintere Einzelradaufhängung plädieren, da diese der Kategorie des 780 erheblich angemessener wäre. Eine solche Schräglenker-Achse existiert bei den Schweden auch schon längst im Versuch, doch der Einsatz in der Serie ist nach wie vor mit einem großen Fragezeichen verbunden.

Aber auch dann, wenn alles so bleibt wie es ist, zählt das Volvo-Coupé zu den Autos, auf die man sich freuen kann. Besitzen werden es allerdings nur wenige – die Nachfrage in Deutschland, wo der 780 vermutlich erst 1987 erscheint, dürfte sich im dreistelligen Rahmen bewegen, was für natürliche Exclusivität sorgt. In diesem Sinne ist auch der Preis zu verstehen: In Italien liegt er bei 54 Millionen Lire, hierzulande wird sich Volvo die geringen Stückzahlen eher mit 80.000 als 70.000 Mark bezahlen lassen. (Verkauft wurde er in der Schweiz dann bei Einführung mit 75.000 SFR, bei TDS in Göteborg kostete der Beau 1987 96.000 SEK ohne VAT)

Bis es soweit ist, können potentielle Käufer schon einmal ihren Kontostand prüfen und – soll der Stil gewahrt bleiben – die Wartezeit mit einer Volvo 760-Limousine überbrücken.

Michael König (auto motor sport, Test & Technik 5/86)